Einleitung (Reisezeit: Februar 2007)

Bei meiner ersten Marokko-Tour hatte ich mich weitgehend auf Hauptstraßen bewegt und fast ausschließlich in Hotels übernachtet. Dieses Mal war ich nicht alleine unterwegs und wollte mehr: Die generalstabsmäßig geplante Route führte durch teilweise sehr abgelegene und untouristische Regionen, in meinen Augen versprach sie ein großes Abenteuer, welches durch den erstmaligen Einsatz eines GPS-Gerätes erleichtert werden sollte.

In der Woche vor Beginn unserer Tour wurde Marokko von einem Kälteeinbruch heimgesucht, dazu hatten Till und ich keine wirklich gute Frühform. Beim Abflug hatte ich gewisse Bedenken, ob wir wirklich so durchkommen, wie ich mir das vorstellte. Letztendlich war Allah jedoch mit uns und die Tour sollte alle meine Erwartungen noch übertreffen...

Tag 1 (Flug nach Agadir, --> Ait Baha, 50km):
Bei der Landung in Agadir sind wir überrascht, wie gut das Wetter ist. Der Beginn unserer Tour fällt zusammen mit dem Ende des diesjährigen Kälteeinbruchs in Marokko. Die Räder haben den Flug gut überstanden, ein Schutzblech von Till und meine Vorder- und Rücklampe sind abgerissen. Der Mann am Zoll bietet mir 300 Euro für mein Rad, vielleicht beim Rückflug... Schnell noch etwas Geld gewechselt und schon sind wir unterwegs.

Die erste Etappe ist unspektakulär, aber in Biougra stellt sich bei mir schon ein enormes Marokko-feeling ein, als wir an der zentralen, sehr lebhaften Kreuzung unseren ersten "the a la menthe" trinken. Ein netter kleiner Ort trotz der Nähe zum Moloch Agadir-Inezgane-Ait Melloul. Zufrieden mit der Welt kurbeln wir den ersten Anstieg nach Ait Baha hinauf wo wir ein Hotel aufsuchen, weil wir beide leicht kränkeln und der Flug uns zusätzlich geschlaucht hat.

Tag 2 (--> 15km hinter Tanalt, 79km):
Die zweite Etappe ist gleich ein Hammer: Es geht direkt hinein in den Anti-Atlas, wir fahren die sogenannte "Achterbahn". Der Name rührt daher, dass die Straße sich in aberwitziger Manier hinauf und hinab durch die Berge windet, auf etwa 110km fährt man um die 2500 Höhenmeter. Die Streckenführung ist toll, dazu zeigt sich der Anti-Atlas von seiner besten Seite: Überall blühen Mandelbäume, dazu leuchten die unzähligen Terrassen in saftigem Grün. Traumhaft!

Till fühlt sich alles andere als fit, die Etappe schlaucht ihn sichtlich. Auch meine Beine haben spätestens nach dem vierten Pass keine Lust mehr. In Tanalt machen wir daher eine längere Pause. Nachdem wir in einem Cafe Omelett gegessen haben, kommt es zu einer lustigen Szene: Ein kleiner, scheinbar sehr religiöser Mann stellt sich auf eine Treppenstufe und küsst mich auf den Kopf. Danach geht er zu Till, den er in Ermangelung einer Treppe am Nacken packt um ihn zu sich herunter zu ziehen. Till hat nichts von seiner Absicht mitbekommen, reagiert widerspenstig und will den Mann abschütteln. Dieser hängt jedoch hartnäckig an Tills Nacken und erst als ich jenen über das Vorhaben des Mannes aufkläre, kann der Kuss vollendet werden.

Verwirrt und erheitert fahren wir weiter um uns wenig später einen Platz zum Zelten zu suchen. Wir werden fündig an einer sehr erhabenen Stelle, wo wir Sichtschutz vor der Straße und dennoch einen grandiosen Blick auf das tief unter uns liegende Tal haben. Wir finden eine Feuerstelle vor, welche wir sogleich für ein Lagerfeuer nutzen. Die Atmosphäre mit dem Sonnenuntergang ist herrlich kitschig! Fast zerstöre ich die Idylle, als ich ziemlich tölpelhaft meinen wenige Tage zuvor erworbenen Benzinkocher einweihe. Ich stelle ihn falsch herum auf und pumpe zudem auch noch viel zu viel Benzin hinein bevor ich ein Inferno entfache, welches wir zum Glück unter Kontrolle bekommen.

Tag 3 (--> 10km hinter Afella d'Ighir, 78km):
Los geht's heute mit zwei giftigen Anstiegen, deren Steigung irgendwo zwischen 15 und 20 Prozent liegen mag. Danach folgt eine schöne Abfahrt ins Ammelntal und wenig später sind wir auch schon in Tafraoute.

Der Ort törnt uns ziemlich ab, trotzdem genehmigen wir uns eine Riesenportion Couscous, bevor es weiter geht. Die Umgebung ist von nun an geprägt von ungewöhnlichen Felsformationen, die in verschiedenen Rot- und Brauntönen in der Sonne leuchten. Mit dem "Chapeau Napoleon" passieren wir den bekanntesten Felsen, danach beginnt ein langer Anstieg nach Tlata Tasrite, zum Glück werden wir vom Rückenwind geschoben.

Es folgt eine tolle Abfahrt, welche in die Mansour-Schlucht mündet. Hier sind wir zum ersten Mal absolut überwältigt, auf mich wirkt die Schlucht wie der Grand Canyon in Kleinformat. Keine Menschenseele ist hier heute unterwegs, was wir wohl der späten Tageszeit zu verdanken haben.

In Ait Mansour rasten wir bei dem ausgesprochen sympathischen Messaoud, der uns ein köstliches Berberomelett zubereitet. Weiter geht es auf einer grausamen Piste, nun nicht mehr oberhalb des Oueds sondern mittendrin und unter Palmen.

Langsam dämmert es, doch hier ist es uns zu dicht besiedelt und die Kinder sind leider nicht besonders schüchtern... Erst 10km nach dem Ausgang der Schlucht finden wir ein einigermaßen zufriedenstellendes Plätzchen, leider direkt neben der Straße. Nachts werden wir wiederholt von Lastwagen geweckt, die auf ihrem Weg von und zu der Akka-Mine anscheinend zu jeder Tageszeit hier vorbeidonnern.

Tag 4 (--> Tata, 112km):
Bei stürmischem Wind, der meist von der Seite weht, strampeln wir im Morgengrauen auf der Asphaltstraße zur Akka-Mine. Dort beginnt eine ordentliche Piste, welche uns einige Stunden durch abwechslungsreiche und sehr einsame Steinwüste führt.

In dem Dorf Intla wollen wir in der Schule eigentlich nur unsere Wasserflaschen nachfüllen, da lädt uns der Lehrer Mustapha zum Tee ein. Während seine Schüler fleißig Multiplikationsrechnung üben trinken wir im Zimmer des Direktors, welcher sich über die jämmerliche Situation der Schule beklagt. Er zeigt uns die Bibliothek, welche aus etwa 20 abgewetzten und uralten Heften besteht sowie den Verbandskasten, bestehend aus einer Flasche Desinfektionsmittel und einer Mullbinde (für über 100 Schüler).

Nachdem ich Mustapha um Erlaubnis gebeten habe, gehe ich in zwei Klassen und rede mit den Schülern. Die zuvor konzentriert arbeitenden Schüler werden bei meinem Anblick plötzlich sehr unruhig, es herrscht allgemeines Getuschel und Gekicher. Doch als wenig später Mustapha hinzukommt, ist sofort kein Mucks mehr zu hören. Wenn ich wirklich Lehrer werden will, muss ich dringend an meiner natürlichen Autorität arbeiten... Ich mache einige Fotos von den Klassen und verspreche Mustapha, sie ihm zu schicken (was ich natürlich auch mache!).

Zurück auf der nun schlechter werdenden Piste kochen Till und ich uns Nudeln, kurz darauf treffen wir auf die asphaltierte Hauptstrecke Igherm-Tata. Der Wind meint es jetzt gut mit uns, daher radeln wir entgegen unserer Planung doch bis nach Tata. Mit Einbruch der Dunkelheit suchen wir eine schaurige aber freundliche Absteige im Zentrum auf.

In Tata machen wir einen Ruhetag, der seiner Bezeichnung gerecht wird. Wir trinken Tee, schlendern herum, machen einen ausgiebigen Mittagsschlaf. Am Abend fühlen wir uns wirklich erholt.

Tag 6 (--> Foum-Zguid, 138km):
Nach dem Ruhetag stehen wir früh auf, so dass wir Tata bereits weit hinter uns gelassen haben als die Sonne aufgeht. Die Strecke führt nun durch reizvolle wenn auch wenig abwechslungsreiche Steinwüste. Der Ort Tissint bietet sich für eine längere Mittagspause geradezu an: Wir kochen Nudeln, quatschen mit einigen marokkanischen Touristen und ich bade am Wasserfall.


Nach der vielleicht etwas zu ausgedehnten Rast radeln wir träge weiter, die Landschaft ist nun auch etwas langweilig. Etwa 30km vor Foum-Zguid schwinden mir in wundersamer Weise die Kräfte. Keine Ahnung was los ist, mein Kreislauf ist plötzlich völlig heruntergefahren, jede Pedalumdrehung ein Kraftakt. Heute geht nix mehr, daher kehren wir am frühen Nachmittag in Foum-Zguid in einer schmucken Auberge ein, wo ich mich mit gutem Essen und einem amerikanischen Spielfilm wieder aufpäppeln lasse.

Tag 7 (--> bei Tasla, 95km):
Morgens habe ich heftiges Nasenbluten, in den nächsten Tagen wird dies immer wieder auftreten. Eine Mangelerscheinung? Es gibt nicht wie abgesprochen um 8 Uhr Frühstück, stattdessen wecke ich die Bediensteten, die noch auf dem Hotelflur schlafen. Als wir uns in Foum-Zguid mit Brot, Wasser und Keksen (Tango, Tonik, Tagger, ...) versorgen, zeigt mir ein Cafe-Inhaber stolz ein Foto, welches zwei Radreisende zeigt. Beim genauen Hinsehen erkenne ich Martl Jung, den ich im Vorjahr in Marokko kennengelernt hatte!

Da ich noch ziemlich träge bin, wird es eine Bummeletappe. Nachmittags pausieren wir in der Auberge Les Dattes, wo ich bereits letztes Jahr ein Tee getrunken hatte. Von da an fahren wir auch eine mir bereits bekannte Strecke. Am frühen Abend kommt uns ein radelndes englisches Pärchen entgegen. Wir tauschen uns einige Minuten aus, Till und ich bekommen brandaktuelle Infos vom Tizi-n-Tazazert. Kurz darauf verlassen wir die Hauptstraße und suchen uns einen Platz zum Zelten.

Tag 8 (--> 10km hinter Nekob, 118km):
Der Tag beginnt sehr entspannt, 40km lang sausen wir bergab nur so dahin. Agdz schenken wir uns, zu negativ sind meine Erinnerungen an diesen Ort. Stattdessen machen wir eine ausgiebige Mittagspause in der paradiesischen Auberge an der Kreuzung in Tansikht. Wir essen ein köstliches Berberomelett, dazu natürlich Hawaii und Minz-Tee.


Starker Rückenwind schiebt uns anschließend nach Nekob. Bei einer Trinkpause im Schatten einer etwas in die Jahre gekommenen Kasbah leisten uns sechs kleine Kinder Gesellschaft. Zunächst sind sie sehr schüchtern, doch nachdem wir einige Kekse mit ihnen geteilt haben, ergreifen sie die Initiative: Sie führen mich im weitläufigen Garten herum, zeigen mir Teile der Kasbah und stellen mir ihre Eltern vor. Der blinde Vater begrüßt mich mit sehr herzlichen Gesten, ich freue mich und fühle mich sehr wohl. Am Ende wundere ich mich, dass die Kinder mich nicht einmal um einen "stylo" bitten.

In dem angenehmen Ort Nekob kaufe ich etwas übermotiviert ein, so dass wir uns mit 10 Liter Wasser und 2,5 Kilo Nudeln auf die Piste nach Boumalne begeben... Wenig später die erste Panne, Till hat einen Plattfuß. Während er den Schlauch wechselt, hält ein holländischer Motorradfahrer und erzählt uns vom Tizi-n-Tazazert. Er beschreibt ihn als sehr gefährlich und kaum fahrbar, hmm ?!? Im wunderschönen Abendlicht fahren wir noch einige Kilometer, bevor wir direkt neben der Piste das Zelt aufschlagen.

Tag 9 (--> Boumalne, 76km):
In der Morgendämmerung fahren wir etwa 10km durch Steinwüste bevor sich plötzlich etwa 100 Höhenmeter unter uns ein farbenfrohes Tal auftut. Nach dem sehr rüttligen Abstieg folgen wir weitere 10km dem Flusslauf, bevor wir uns in einem Cafe mit einem Berberomelett stärken.

Danach beginnt der schwierige Anstieg zum Tizi-n-Tazazert. Schwierig daher, weil die Piste teilweise sehr übel ist, dicke Felsbrocken wechseln sich mit tiefem Kies ab. Öfters werde ich zum Absprung gezwungen, einmal geht's so schnell, dass meine Familienplanung kurz ins Wanken gerät. Till bzw. sein Rad hat Probleme mit der Piste, er schiebt fast die gesamten 1000 Höhenmeter. Immerhin hat er dadurch mehr Gelegenheit als ich, die grandiose Landschaft zu bestaunen. Die Felsformationen vulkanischen Ursprungs sind bizarr und wunderschön anzusehen, die Aussicht zurück nach Süden atemberaubend.


Auf der Passhöhe (2300m) warte ich geschlagene zwei Stunden auf Till in einem Cafe, eine Zeit, die ich sehr genieße: Der Inhaber Rahim und seine Familie sind sehr freundlich und ich werde blendend unterhalten. Als ich anfange, mich zu rasieren, ist Rahim meine Vorgehensweise zu unprofessionell, so dass er zu seinem Rasierzeug greift und das Ganze selbst in die Hand nimmt. In Anbetracht der riesigen Klinge ist mir zunächst etwas mulmig, aber Rahim macht seine Sache gut und eine Viertelstunde später bin ich so ordentlich rasiert wie nie zuvor!

Als wir schließlich die Abfahrt in Angriff nehmen, bestätigt sich die Info der Engländer, die Piste ist auf der Nordseite des Passe erheblich besser als auf der Südseite. Es rollt phantastisch und so schaffen wir es überraschenderweise doch noch bis nach Boumalne zu radeln. Dort suchen wir direkt die mir bekannte Auberge Tamazirte auf. Der Einzige, der mich wiedererkennt, ist leider derjenige, der letztes Jahr bereits am nervigsten war. Leider hat er sich nicht verändert...

Tag 10 (--> Ait Oudinar, 88):
Wir beginnen den Tag betont gemütlich, schlafen lange (d.h. bis kurz nach 8), frühstücken ausgiebig und erledigen diverse Kleinigkeiten in Boumalne. Um 11 Uhr beginnen wir, ganz gemächlich die Dades-Schlucht hinauf zu zuckeln. Unsere Beine fühlen sich heute den ganzen Tag über an wie Fremdkörper. Die Schlucht gefällt uns sehr, wir bestaunen die verschiedenen Felsverwerfungen und die unzähligen Kasbahs. Der Dades führt viel Wasser, weite Teile der Anbauflächen sind überschwemmt. 30km nach Boumalne kehren wir in der Auberge Tandrifte ein, wo wir zunächst zu Mittag essen (Berberomelett, was sonst...).

Danach lassen wir unser Gepäck liegen und fahren die Schlucht weiter hinauf bis wir kurz vor Msemrir angelangt sind. Hier bietet sich der tollste Ausblick auf die Schlucht, da man sich etwa 200 Meter oberhalb des Dades befindet. Tief unter uns mäandert der Fluss dahin, im Hintergrund mächtige Berge, auf welchen überraschend viel Schnee liegt. Toll! Wir bekommen bei unserer Rast Gesellschaft von drei Jungs, die uns doch tatsächlich einen Messing-Gardinenhalter als Antiquität verkaufen wollen. Wie kommen die auf solche Ideen???

Zurück in der Auberge bekommen wir eine fantastische Tajine und einen üppigen Salat serviert, da lacht das Radlerherz! Die Wahl der Unterkunft war ein Glücksfall für uns.

Wie wir den Ruhetag in der Schlucht verbringen, darf man eigentlich niemandem erzählen. Es ist unglaublich, wie wir den ganzen Tag im Bett liegend vor uns hin vegetieren. Ganze dreimal schälen wir uns aus dem Zimmer, zum Frühstück sowie zum Mittag- und Abendessen...

Tag 12 (--> 10km hinter Ait Toumert, 72km):
An diesem Morgen sind wir experimentierfreudig, wir versuchen, eine alternative Querverbindung zwischen Dades-Tal und Amejgag zu finden. Ohne Informationen begeben wir uns auf eine Piste, die zunächst ganz angenehm ist und auch in die richtige Richtung führt. Nach etwa 10km wird die Piste dann aber leider mehr und mehr zum Muliweg, die Schiebepassagen werden immer ausgedehnter. Als sich auch noch die Richtung ungünstig verändert und der Weg wenig später von drei blutrünstigen Hunden blockiert wird, geben wir entnervt auf. Wir fahren ein Stück zurück bis zu einem Abzweig, der uns letztendlich wieder ins Dades-Tal führt. Naja, wir haben es versucht, wenn auch nicht mit letzter Konsequenz...

Wir fahren dann die bekannte Piste ab Ait Youl über Bou Thrarar. In letzterem Ort machen wir Mittagspause in einer wunderschönen Umgebung, von der Terrasse des Restaurants haben wir einen tollen Blick auf das weite grüne Tal mit den vielen verschiedenfarbigen Felsen. Die Piste führt hiernach durch reizvolle Landschaft voller blühender Bäume. Ab Ait Toumert fahren wir auf einer sehr einsamen Hochebene, wo wir nur ganz vereinzelt auf Hirten treffen. Die Leute machen auf mich einen sehr entspannten und besonders freundlichen Eindruck, es kommt zu einigen sehr herzlichen Begegnungen. Zufrieden mit der Welt bauen wir während des kitschigen Sonnenuntergangs unser Zelt auf und sinken voller Vorfreude auf den bevorstehenden 2800m-Pass in den Schlaf.


Tag 13 (--> Amezri, 46km):
Dieser für uns wahnsinnig aufregende Tag beginnt morgens mit einer Einladung zum Tee in Ifrane. Wir werden in das Wohnzimmer einer großen Familie geführt, wo wir es uns zusammen mit 13 Familienmitgliedern, davon 11 Frauen, auf dem Teppich bequem machen. Zunächst bekommen wir auf dem Herd warmgemachtes Wasser zum Händewaschen gereicht, danach beginnt die Teezeremonie. Zum Tee bekommen wir frisch gebackenes köstliches Brot gereicht, dazu Olivenöl und eine Art Linsensuppe zum Eintunken. Keiner spricht französisch oder englisch, aber die Atmosphäre ist sehr locker und freundlich und wir fühlen uns sehr wohl. Meine langen Haare sind ein großer Aufreger und sorgen für viel Gekicher. Wir bleiben recht lange bei der Familie, insgesamt ist es eine tolle Erfahrung, die noch nachhaltig auf uns einwirkt. Als Gastgeschenk haben wir leider nicht viel zu bieten, einen Schal und eine Trainingsjacke kann ich entbehren. Nicht gerade etwas für die ganze Familie, dennoch ist die Freude groß.

Dann beginnen wir den Anstieg zum Tizi-n-Oualoum, zunächst ist die Piste sehr gut und die Steigung angenehm. Wir fahren oberhalb eines schönen weiten Tals in dem einige kleine Ortschaften liegen. Nach einer kleinen Furt ist es vorbei mit der Gemütlichkeit, die Piste wird nun steiniger und die Steigung heftig. Überall um uns herum plätschert nun das Schmelzwasser, links und rechts neben der Piste hohe Schneeverwehungen. Als uns auf 2600 Metern Höhe gerade die Kräfte schwinden, bekommen wir von ein paar Männern Brot mit Ölsardinen gereicht, was uns wieder aufpäppelt.

Als ich schließlich auf der Passhöhe (2804m) ankomme und schonmal einen Blick auf die bevorstehende Abfahrt werfe, erschrecke ich: Auf etwa 1,5km ist die Piste tief zugeschneit, nur eine kleine Schneise für Fußgänger ist frei, direkt neben einem schwindelerregenden Abhang. Dazu stürmt es hier oben gewaltig, unsere Unternehmung ist wirklich nicht ganz ungefährlich! Wir tasten uns vorsichtig den Berg hinab, nach einer Weile wird es zum Glück sicherer. Als schließlich kein Schnee mehr auf der Piste liegt, ist sie leider immernoch sehr matschig und kaum befahrbar. So kämpfen wir uns bis Amezri, immer wieder müssen wir die blockierenden Laufräder vom Matsch befreien. Die Landschaft entschädigt allerdings für die Mühen: Tief verschneite Berge ringsherum, grüne Terrassen, rote Felsen, die Kontraste sind einfach traumhaft anzusehen!


In Amezri angekommen, werden wir sogleich von etwa 30 Kindern belagert. Unter lautem und diesmal sehr unangenehmem Geschrei flüchten wir in eine Gites d'Etappes. Später gehe ich mit einem Sohn der Familie im Dunkeln durch den Ort, um einige Besorgungen zu machen. Die Atmosphäre ist irgendwie gespenstisch, dutzende Menschen sind in ihren fast alles verhüllenden Mänteln in den Gassen unterwegs. Irgendwie komme ich mir vor wie im Mittelalter.

Tag 14 (--> 10km hinter Toufrine, 40km):
Morgens gibt es erstmal eine anstrengende Diskussion um den Preis der Übernachtung. Die Leute wollen 345Dh haben, obwohl sie eine eindeutige Preistafel haben, wonach wir mit Essen und Trinken auf 160Dh kommen. Keiner kann französisch, keiner kann rechnen und so gestikulieren wir eine Viertelstunde lang wild, bis schließlich der korrekte Preis akzeptiert wird. Danach kommt es noch zu einem sehr lauten und heftigen familieninternen Streit, weil die Frauen sich nicht einigen können, wer denn nun das Geld verwalten soll. Wir sind heilfroh, dieses unruhige Nest verlassen zu können.

Dann beginnt eine traumhafte Fahrt durch das Tessaout-Tal. Unwirklich erscheinende Felsformationen, wie Adlerhorste an den Felsen klebende Dörfer, dazu der rauschende Oued, unsere Sinne sind wie berauscht. Zudem stellt sich bei uns das überwältigende Gefühl ein, gerade eine Reise in die Vergangenheit zu machen. Die Leute, denen wir begegnen, scheinen teilweise in uns auch Menschen aus einer anderen Welt zu sehen, wir ernten wunderliche bis verständnislose Blicke, dazu fragende Gesten. Autos oder Touristen sehen wir in diesem Tal überhaupt keine.


Die Piste ist zumeist schlecht, dazu kommen eine handvoll teilweise knietiefer Furten und unzählige Durchfahrten überschwemmter Pistenstücke. Insgesamt kommen wir kaum voran.

Als ich mal wieder ein Foto machen will, beginnt ein 100 Meter entferntes Mädchen wild zu kreischen und zu weinen. Ups, das wollte ich nicht. Obwohl ich meine Kamera sofort wieder einstecke ohne ein Foto gemacht zu haben, heult sie weiter wie ein Schlosshund und beschimpft mich. Ab jetzt bin ich noch vorsichtiger beim Fotografieren.


Ca. 10km vor Toufrine bessert sich der Zustand der Piste erheblich, so dass die Geschwindigkeitsanzeige des GPS-Gerätes zum ersten Mal heute eine Weile zweistellig bleibt. Auch die Landschaftsform hat sich schlagartig in wundersamer Weise verändert, die Schlucht ist nicht mehr schroff und kahl, die Hänge sind nun dicht mit Zedern bewachsen.

In der nächsten Zeit kommen uns über hundert Esel, Maultiere und Pferde entgegen, der heutige Souk in Toufrine ist soeben zu Ende gegangen. Für jedes einzelne Tier müssen wir stehenbleiben, denn die Tiere kennen anscheinend keine Fahrräder und gehen unweigerlich durch wenn wir weiterfahren. Wieder kommen wir kaum vorwärts, langsam werde ich ungeduldig, weil wir nichts mehr zu essen haben. Endlich in Toufrine angekommen trinken wir erstmal einen Tee in dem Cafe, wo ich schon letztes Jahr gerastet habe. Der Inhaber mustert mich zunächst eine Weile sichtlich verwundert, dann erkennt er mich wieder und begrüßt mich herzlich.

Wir fahren hiernach noch 10km exakt bis zu der Stelle, wo ich im Vorjahr zusammen mit Martl gecampt hatte. Wir haben kein Benzin mehr, daher bauen wir uns eine Art Steinofen auf dem wir uns Nudeln kochen.


Tag 15 (--> Ouarzazate, 79km):
Über Nacht hat sich das Wetter verschlechtert und der Tizi-n-Fedhrat begrüßt uns morgens mit Schnee- und Hagelschauern. Dazu weht ein eisiger Wind, so dass wir den ursprünglichen Plan der Querung Tamzerit-Telouet schnell begraben. Stattdessen heizen wir auf Asphalt nach Ouarzazate, wo wir im Hotel Baba einkehren, was sich als wahrer Glückstreffer herausstellt. Till ist ziemlich elend zumute und er verbringt den Rest des Tages im Hotel, während ich einige Erledigungen mache und mir abends mit einigen Marokkanern das Fußballspiel Madrid-Bayern reinziehe.

Der Ruhetag in Ouarzazate ist nicht wirklich erholsam, weil wir viel zu erledigen haben und ein kleinerer Sandsturm über die Stadt hinwegfegt. Das Einatmen des vielen Staubes ist keine Freude und zu allem Überfluss verlaufen wir uns nach einem Barbier-Besuch dermaßen, dass wir am Ende ein Taxi nehmen, um zum Hotel zurückzukommen.

Tag 17 (--> Ait Benhaddou, 28km):
Früh morgens verlassen wir die Hauptstraße in Richtung Marrakesh und verfolgen die angenehme Piste Richtung Ait Benhaddou. Der Blick auf den tief verschneiten Hohen Atlas ist fantastisch. Wir passieren eine heruntergekommene Filmkulisse in Gestalt einer Arena. Zwei Hirten haben sie inzwischen zu ihrer Behausung umfunktioniert und klären uns darüber auf, dass hier der Hollywoodfilm "Gladiator" gedreht wurde.

Wenig später erreichen wir das Ksar Ait Benhaddou, wo ich mir zur Erheiterung der umherstehenden Touristen nasse Füße bei einer versuchten Oued-Durchfahrt hole. Erst am frühen Abend besichtigen wir den Ksar, der natürlich sehenswert ist. Aber vom Hocker haut's uns nun nicht gerade...


Tag 18 (--> Tizi-n-Melloul, 102km):
Heute morgen kurbeln wir wie die Bekloppten: Zunächst die 50km bis Anezal quasi ohne Pause, die Landschaft ist aber auch wirklich nicht sehr spannend. In Anezal kurz mit Lebensmitteln eingedeckt, schon radeln wir auf der leicht wellblechartigen Piste Richtung Siroua-Massiv. Wir haben leichten Rückenwind, heute läuft's einfach.

Die Landschaft wird mit zunehmender Höhe immer felsiger und sehenswerter, die Gegend um den Tizi-n-Melloul ist ein absoluter Traum. In dieser kargen Landschaft mit den umliegenden schneebedeckten Bergen überrascht es mich doch sehr, so viele Terrassen und grüne moosartige Wiesen vorzufinden.

In der Nähe eines Dorfes kommt es zu einer unschönen Szene, als drei Jugendliche mir gleichzeitig an die Packtaschen und das Fahrrad greifen. Fast stürze ich, weil einer das Rad festhält und da ein anderer eine Eisenstange in der Hand hält, bekomme ich es doch mit der Angst zu tun. Ich schreie sie an und beschimpfe sie auf deutsch in übelster Weise. Zum Glück schüchtert sie das ein, so dass sie sich verkrümeln. Einmal durchatmen!

Die Piste ist oberhalb von 2200 Metern noch sehr weich vom letzten Schnee, so dass unsere Räder tief im Matsch einsinken und der Anstieg am Ende die reinste Qual wird. Mit dem Sonnenuntergang erreichen wir die Passhöhe von 2520 Metern, in deren Nähe wir das Zelt aufschlagen.

Tag 19 (--> Taliouine, 72km):
Die Nacht war ziemlich frostig, morgens haben wir eine Eisschicht auf dem Zelt und dicke Eisbrocken in den Wasserflaschen. Als wäre mir nicht schon kalt genug, tappe ich frühmorgens auch noch in dämlicher Art und Weise in eine Furt, so dass meine Füße erst so richtig eisig werden.

Überhaupt ist heute irgendwie nicht mein Tag, zweimal stürze ich leicht, jedesmal weil ich mich mehr auf die Landschaft und mögliche Fotomotive als auf die Piste konzentriere. Kurz vor Askaoun kröne ich das Ganze, als ich mit etwa 35km/h auf einen dicken Felsbrocken rase. Ergebnis ist eine Delle in der Felge und eine böse Acht. Zum Glück habe ich mit Till meinen eigenen Mechaniker dabei... Till selber hat heute auch einen pannenreichen Tag mit zwei Speichenbrüchen und einem Platten.

In Askaoun essen wir unser inzwischen obligatorisch gewordenes Omelett, danach geht es auf Asphalt weiter in Richtung Taliouine. Die Abfahrt ist die spektakulärste und schwindelerregendste dieser Tour, die Aussicht grandios. In Taliouine finden wir eine sympathische Absteige und lassen es uns den Rest des Tages gutgehen.

Am Ende der Tour gehen uns die Kräfte aus, so dass wir uns dazu entscheiden, die letzten zwei Tage zur Erholung zu nutzen. Dies tun wir zunächst in den Cafes von Taliouine und dann, nach einem Bustransfer, am Strand von Agadir.

Nachbetrachtung

Ach, was soll ich denn nun noch groß sagen... Die Tour war der absolute Hammer, grandios, legendär, was weiß ich. Marokko wird mehr und mehr zu meinem Lieblingsziel, insgeheim plane ich schon die nächste Tour. Die Leute sind unschlagbar sympathisch und gastfreundlich, die Landschaft ungeheuer abwechslungsreich und immer wieder überwältigend. Die landschaftlichen Highlights dieser Tour waren für uns die Mansour-Schlucht, der Tazazert, die Piste Anezal-Askaoun und allen voran natürlich das Tessaout-Tal. Die Begegnungen mit der Bevölkerung waren dieses Jahr viel intensiver als letztes Jahr, unter anderem weil ich weniger ängstlich war, aber vor allem auch, weil wir in deutlich weniger touristischen Regionen unterwegs waren.

Till und ich haben uns gelegentlich in die Haare gekriegt, einfach weil wir so unterschiedliche Typen sind. Ich immer durchstrukturiert und diszipliniert, er dagegen der Gefühlsmensch, der sich lieber mal treiben lässt. Das geht natürlich nicht immer gut, insgesamt war es aber zehnmal besser als alleine unterwegs zu sein, wir hatten wirklich eine Menge Spaß.

Noch ein Kommentar zum GPS: Ich fahre nie wieder ohne! Zum Einen bin ich immernoch von den (teilweise spielerischen) Möglickeiten begeistert, die das Gerät bietet. Zum Anderen gewährleistet einem GPS eine enorme Sicherheit bei Planung und Navigation. Viele graue Haare bei unerwarteten Pistenverzweigungen bleiben einem erspart. In den meisten Fällen geht es wohl auch ohne GPS, aber mit GPS wird einfach alles leichter. Und Spaß macht es mir auch!

In diesem Sinne bedanke ich mich bei Julius Grossmann, Werner-Michael Hans und vor allem bei Jan Cramer nicht nur für die umfangreiche Diskussion meiner Route sondern auch für ihre Missionierung und Hilfestellung in Sachen GPS!

A la prochaine, Maroc? Inch Allah!